Der Schatz im Ulrichstein

Der Schatz im Ulrichstein


Die Sage vom ‚Schatz im Ulrichstein‘ spielt irgendwann um das Jahr 1600 und wird hier nach alten Überlieferungen neu erzählt. Der Legende nach führten die damaligen Ereignisse zur Gründung des Gasthauses ‚Zum Schwarzen Bock‘ und gaben diesem seinen Namen. 

Der Name des Kronenwirts ist nicht überliefert, daher nennen wir ihn nachfolgend ‚Jost‘.


Die Geschichte

In Sachsenhausen, genauer gesagt, in der Elisabethenstraße, gab es um das Jahr 1600 das Gasthaus ‚Zur Krone‘, das dem Deutschherrenorden gehörte. Jost, der Kronenwirt, der nie große Reichtümer besessen hatte, hatte das Lokal zur Pacht und kam mehr schlecht als recht über die Runden.

Eines Tages kehrten zwei abgerissene Landsknechte in der Krone ein. Wolfram und Hanno waren viel rumgekommen, hatten einige Schlachten geschlagen und fürchteten weder Gott noch Teufel. Nach einigen Bechern Wein fasste der Kronenwirt Vertrauen zu den Beiden und teilte eine alte Geschichte mit Ihnen, die ihn schon lange beschäftigte.

„Zur Zeit der Kreuzzüge“, so begann Jost seine Geschichte, „lebte hier ein weiser Mann, ein Alchemist, der sich darauf verstand, Gold zu machen. Damit ihm dies gelänge, hatte er seine Seele dem Teufel verschrieben. Doch schon bald gerieten die beiden in Streit und der Teufel drehte ihm den Hals um. Mit ihm sind auch seine Reichtümer verschwunden. Aber…“

Der Ulrichstein 1552

Der Wirt dämpfte seine Stimme und versicherte sich, dass keiner der übrigen Gäste etwas von dem Gespräch mitbekam, bevor in geheimnisvollem Tonfall fortfuhr, „…tief verborgen im Keller des Ulrichsteins, dem ältesten Festungsturm Sachsenhausens, gibt es eine eiserne Tür, hinter der ein unterirdischer Gang in ein kleines Gewölbe führt. Dort hält der Leibhaftige das Gold des unglückseligen Alchemisten in einer Truhe versteckt und lässt den Schatz von unsichtbaren Geistern bewachen. Die Truhe besitzt kein Schloss und lässt sich nur mit Hilfe eines geheimnisvollen Krauts öffnen.“

Wolfram und Hanno lauschten gebannt. „Meine Großmutter“ fuhr der Wirt fort, „hat mir erzählt, dieses Kraut wüchse wild im Stadtwald und seine Blätter hätten kleine Löcher, ganz ähnlich wie die Poren der Menschenhaut. Riebe man die gelben Blüten zwischen den Fingern würden sie blutrot. Dieses Kraut, davon war meine Großmutter überzeugt, enthielte das Blut von Johannes dem Täufer. Deshalb habe ihm selbst der Teufel nichts entgegenzusetzen. Das ‚Johanniskraut‘ könne seine Zauberkraft aber nur an dem Tag entfalten, an dem es in voller Blüte stehend gepflückt werde und selbst dann nur für eine Stunde, des nächtens um zwölf Uhr.“

Nach ein paar weiteren Bechern Wein wurde man sich schließlich einig, dem Teufel den geheimnisvollen Schatz im Ulrichstein abzujagen.

Zur verabredeten Zeit traf man sich also im Hof des alten Wachturms, der schon lange nicht mehr genutzt wurde. Zuvor hatte Jost im Stadtwald einen kleinen Strauß des Zauberkräutleins gepflückt, das an jenem Tag in voller Blüte stand. Gemeinsam bahnten sich die drei ihren Weg über eine halb zerfallene Treppe, hinunter zu den Grundfesten des Ulrichseins, wo man tatsächlich alsbald die eiserne, stark verrostete Tür vorfand. Zu aller Erstaunen war diese aber nicht viel größer als eine gewöhnliche Kaminklappe. Hanno, der vorsorglich ein paar alte Schlüssel mitgebracht hatte, suchte nach einem Schlüsselloch, konnte aber keines finden. Nachdem er einige Zeit im Rost herumgestochert hatte, entdeckte er schließlich einen versteckten Knauf und schlug mit einem Stein darauf ein. Daraufhin sprang die Tür mit einem fürchterlichen Geräusch auf. Aus dem finsteren Gang dahinter schlug ihnen modrige Luft entgegen, so übelriechend, dass alle Farbe aus ihren Gesichtern wich.   

Dem Kronenwirt, der ohnehin nicht als Draufgänger bekannt war, standen die Haare zu Berge und er hätte wohl am liebsten Reißaus genommen, wollte vor seinen Kumpanen aber nicht als Feigling dastehen. Wolfram und Hanno erging es nicht besser, doch auch sie behielten es für sich. So zwängten sie sich durch die enge Tür in den unheimlichen Gang. Hanno zog die Tür zu, um nicht entdeckt zu werden. Nur der schwache Schein von Wolframs kleiner Laterne erhellte die Dunkelheit. Die drei Schatzräuber wagten kaum zu atmen.

Niemand vermochte zu sagen, wie lange sie regungslos in der Dunkelheit gestanden hatten, bis sie ganz schwach den Glockenschlag der nahen St. Bartholomäuskirche hörten. Die schwarze Stunde der Mittnacht war angebrochen. Mit dem letzten Glockenschlag erschien am Ende des Ganges eine unheimliche blaue Flamme, die bald größer, bald kleiner wurde, aber kaum Licht spendete. Vor Angst wie gelähmt starrten die drei auf die Erscheinung.

Hanno, der zuerst die Fassung wiedererlangte, entriss dem Wirt das Zauberkraut, schnappte sich die Laterne, nahm seinen ganzen Mut zusammen und stapfte den morastigen Gang entlang, der so niedrig war, dass er nur tief gebückt zu begehen war. Wolfram folgte ihm etwas zögerlich und in sicherem Abstand. Nur Jost blieb mit schlotternden Knien und vor Angst wie gelähmt zurück.       

Als die Landsknechte der geheimnisvollen blauen Flamme immer näherkamen, tauchten plötzlich noch zwei glühende Punkte auf, die Ihnen wie rollende Feuerkugeln entgegenstarrten. Dem Stoßtrupp schlug das Herz bis zum Hals und darüber hinaus.

„Halt!“ schrie Hanno plötzlich auf und warf sich zurück. Beinahe wäre er in ein schwarzes, fauliges Wasserloch gefallen, dass die ganze Breite des Ganges versperrte und so breit war, dass man es nur mit viel Anlauf hätte überspringen können. Aber wie in Teufels Namen hätten, sie in dem niedrigen Gang Anlauf nehmen sollen? Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als umzukehren.

Ärgerlich machte sich die drei auf den Rückweg. Wobei, so richtig ärgerlich war eigentlich nur Hanno, der der Mutigste der Gruppe zu sein schien. Jost und Wolfram waren insgeheim ganz erleichtert, den stickigen Gang und die mysteriösen Erscheinungen darin hinter sich lassen zu können.

Doch die Aussicht auf reiche Beute war einfach zu verlockend und man beschloss, einen neuen Versuch zu wagen. Nach eigner Suche fanden sie in dem alten Gemäuer ein paar morsche Balken, die sie in den Gang schleppten und mit einiger Mühe über das tückische Wasserloch schoben. Auch Jost hatte seinen ganzen Mut zusammengenommen und balancierte sogar als Erster über die wackeligen Balken. Die Behelfsbrücke ächzte und karrte bedrohlich, aber sie hielt.

Vorsichtig tasteten sie sich an der Wand entlang, um nicht auf dem morastigen Boden auszurutschen und gelangten schließlich in eine kleine Kammer. Jetzt erschrak sogar der furchtlose Hanno. Zu beängstigend war das, was sie dort erblickten.

Mitten in der Kammer stand eine große, schwarze Truhe, auf der eine kleine blaue Flamme tanzte, die im nächsten Moment mehr als mannshoch anschwoll und einen fahlen, geisterhaften Schein auf ihre Gesichter warf. Vor der Truhe stand regungslos ein riesiger schwarzer Bock, der sie mit rollenden und rotglühenden Augen anglotzte. Das mussten die feurigen Kugeln gewesen sein, die sie zuvor gesehen hatten. Ihnen gefror das Blut in den Adern und ihre vor Angst erstarrten Gesichter sahen aus, als sei alles Leben aus ihnen gewichen.   

Nachdem sie ihre Fassung wiedererlangt hatten, schlichen sie sich, ängstlich und eng an die Wand gedrückt, in größtmöglichem Abstand an dem Höllenvieh vorbei. Während Jost den grimmig dreinblickenden Bock im Auge behielt und Wolfram die Laterne schwenkte, gelangte Hanno hinter die Truhe und berührte sie mit dem Johanniskraut.           

Mit einem ohrenbetäubenden Knall, der noch lange in dem kleinen Raum widerhallte, erlosch die Flamme und der Deckel der Truhe sprang auf. Doch nicht nur der, auch der schwarze Bock tat einen gewaltigen Satz, rannte wie von Sinnen dreimal um Hanno und die Truhe herum und nahm schließlich wutschnaubend und mit gesenkten Hörnern unseren armen Kronenwirt ins Visier. Der gab Fersengeld, rannte völlig panisch in den stockfinsteren Gang und wäre beinahe in das Wasserloch gefallen. Doch das Untier hatte ihn schon eingeholt und rammte ihm mit solcher Wucht seinen gewaltigen, gehörnten Schädel ins Hinterteil, dass er in hohem Bogen über den Abgrund flog und vor Schmerz jammernd auf der anderen Seite landete. Der Bock setzte zum Sprung an – und war in der nächsten Sekunde plötzlich verschwunden. Nur ein beißend fauliger Schwefeldunst erfüllte noch den Gang.    

Jost rief mit schwacher, zitternder Stimme um Hilfe, raffte sich schmerzgepeinigt auf und wollte schon zum Ausgang humpeln, als er Hanno und Wolfram rufen hörte. „Komm zurück Du elender Feigling, alles Bedrohliche ist weg und die Truhe ist randvoll mit Goldgulden. Komm schon und füll dir die Taschen!“

Also nahm er all seinen Mut zusammen, balancierte abermals über die sich tief durchbiegenden Balken und erreichte schließlich die Kammer. In der Truhe blinkten ihm Unmengen goldener Münzen entgegen und er raffte alles zusammen, was seine Taschen fassen konnten. Alle Angst, aller Schmerz war vergessen und auch Hanno und Wolfram grinsten übers ganze Gesicht.

Just in dem Moment, als sie noch mehr Gold zusammenraffen wollten, hörten sie ganz entfernt die Turmuhr von St. Bartholomäus einmal schlagen. Die ‚Schwarze Stunde‘ war vorüber. Sofort schlug der schwere Truhendeckel mit einem gewaltigen Knall zu und hätte ihnen beinahe die Hände zermalmt. Schwefelfaules Wasser quoll aus dem Boden, der immer morastiger wurde. Voller Entsetzen bemerkten die Drei, wie die Truhe, aber auch sie selbst immer tiefer im Boden versanken.

Allerhöchste Zeit, von diesem furchteinflößenden, vom Teufel höchstselbst verfluchten Ort zu verschwinden. Mühsam zogen sie ihre Stiefel aus dem Faulschlamm, hetzten über die morschen Balken in den niedrigen Gang, dem Ausgang entgegen. Als sie sich durch die enge Tür zwängten, drehte sich Hanno noch einmal kurz um. Die Truhe war verschwunden, die Kammer teilweise eingestürzt und aus der Staubwolke funkelten ihn zwei rotglühende Lichter böse an.

Selbst der unerschrockene Hanno war heilfroh, als sie den Ulrichstein endlich hinter sich gelassen hatten. In einiger Entfernung zu dem uralten Gemäuer ließ sich die Gruppe am Mainufer nieder, um wieder etwas zur Ruhe zu kommen, bevor man sich trennte.

Wolfram und Hanno wollten noch etwas im Schutz der Büsche ausruhen, sich aber beim ersten Tageslicht Richtung Osten auf den Weg machen. Wohin genau, darüber wollten sie sich erst später Gedanken machen. Nur möglichst weit weg von dem Ort, an dem sie dem Teufel sein Gold gestohlen hatten. Bis zum Ende ihrer Tage kehrten sie nie wieder nach Frankfurt zurück.

Der Kronenwirt hingegen schlich sich noch im Schutze der Dunkelheit vorsichtig nach Hause, immer darauf bedacht, nicht einer Patrouille der Scharwache in die Arme zu laufen. Endlich zuhause sank er in einen tiefen, erholsamen Schlaf. Obwohl ihm sein Abenteuer mit all seinen Schrecken noch lange in den Knochen steckte, war er doch sehr glücklich. Er, der, obwohl stets rechtschaffend, nie viel besessen hatte, war über Nacht zu einem sehr reichen Mann geworden.

Das Gasthaus ‚Zur Krone‘, dass Jost vom Deutschherrenorden in Pacht hatte, gab er wenig später auf und kaufte das benachbarte Haus ‚Zum Schmelzhof‘. Dort richtete er sein eigenes Gasthaus ein, dass er in Erinnerung an sein Abenteuer ‚Gasthaus zum schwarzen Bock‘ nannte. Über dem Eingang thronte fortan ein stattlicher schwarzer Bock, den Jost extra von einem örtlichen Künstler hatte anfertigen lassen.

So hat der ‚Schwarze Bock‘ wohl gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausgesehen
(Postkarte, gelaufen am 23.3.1901 innerhalb Frankfurts)

Nachwort

Zur weiteren Geschichte des heute nicht mehr existenten ‚Schwarzen Bocks‘ bedarf es noch weiterer Recherchen. Es scheint aber ein sehr gemütliches Gasthaus mit einem schönen Garten gewesen sein, wie das folgende Postkartenidyll belegt.Postkartenmotiv Gasthaus Schwarzer Bock, Garten


Der Ulrichstein wurde im August 1635 von den abrückenden schwedischen Truppen, die Frankfurt zuvor drei Jahre lang besetzt hatten, zerschossen und stark beschädigt. Vielleicht hätte man unter den Trümmern noch den geheimnisvollen Kellergang finden können. Versucht hat es aber wohl niemand mehr.

Postkartenmotiv Ruine des Ulrichsteins um 1900
Die Ruine des ‚Ulrichsteins‘, vermutlich um 1900 (Postkarte, gelaufen am 16.05.1912)

Mit der zunehmenden Ausdehnung der Stadt verloren die alten Befestigungsanlagen immer mehr an Bedeutung. Während die übrigen Wachlokale gegen Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen wurden, blieb die Ruine des Ulrichsteins als einziges Wahrzeichen am Sachsenhäuser Mainufer erhalten und wurde 1897 sogar noch restauriert. Nur 33 Jahre später, am 10. März 1930, ließ das Tiefbauamt der Stadt Frankfurt die Anlage in einer Nacht und Nebel-Aktion einfach abreißen. Obwohl der Magistrat der Stadt und der preußische Landeskonservator sich für den Erhalt der Ruine ausgesprochen hatten, war diese den Stadtplanern bereits seit 10 Jahren ein Dorn im Auge. Zwar hatte der damalige Oberbürgermeister Ludwig Landmann noch einen sofortigen Baustopp angeordnet, doch die Bagger hatten in kürzester Zeit ganze Arbeit geleistet und der Ulrichstein war unwiederbringlich zerstört. Der Selbstherrlichkeit irgendwelcher Stadtplaner und mutmaßlich auch der Korruption innerhalb des Tiefbauamts zum Opfer gefallen.

Heute erinnert nur noch ein schmuckloser Steinkreis im Straßenasphalt des Schaumainkais, an der Einmündung der Färberstraße, an den ehemaligen Standort des Ulrichsteins.


Foto Lage des Ulrichsteins, heutiger Steinkreis

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