Aepfelwein – Eine Trinkstudie

Aepfelwein – Eine Trinkstudie


Die folgende „Trinkstudie“ von Emil Petschkau erschien 1885 in Heft Nr. 47 des illustrierten Familienblattes „Die Gartenlaube“

Aepfelwein – was soll uns Aepfelwein? werden die meisten Leser fragen. Diejenigen, die ihn nicht kennen, werden auf der Zunge einen leisen säuerlichen Geschmack spüren, und von Denjenigen, die ihn da oder dort kennen gelernt haben, wird den Meisten derselbe Zungenreiz zu Theil werden – nur in etwas stärkerem Maße. Es giebt aber auch Leute, deren Augen plötzlich aufleuchten, über deren Züge sicher etwas wie Sonnenschein gleitet, wenn sie die Ueberschrift dieser Zeilen lesen. „Ha – ebbes vom Moscht!“ ruft jubelnd der Schwabe aus, und der biedere Sachsenhäuser betrachtet schmunzelnd sein Glas „Rauscher“ und freut sich, daß man darüber auch etwas schreiben kann.

In der That kann man den Aepfelwein das „Nationalgetränk“ von Württemberg wie von der ganzen weiteren Umgebung von Frankfurt am Main nennen. Giebt es auch genug andere Landstriche in Deutschland und Oesterreich, wo man das massenhafte Obst zu verwerthen sucht, indem man daraus Wein bereitet – man vertilgt das Getränk doch zumeist noch im süßen Zustande als Most, oder man benutzt es zu anderen Zwecken, wie zur Essigfabrikation. Wein aber wird nur ausnahmsweise erzeugt. In den genannten Gegenden ist jedoch der Aepfelwein zum Bedürfniß der unteren und mittleren Klassen geworden. Er wird als „Süßer“, als „Rauscher“ und als Wein das ganze Jahr hindurch verzapft, und in einer großen Anzahl von Wirthshäusern wird nichts als Aepfelwein geschenkt. Auf dem Lande und mitunter auch in der Stadt hat man stets ein paar Fäßchen davon im Keller, und auf dem Mittagstische der Familie steht auch der Krug mit „Moscht“, wie in anderen Gegenden das Bierkrügel, das Weinglas oder – die Wasserflasche. Und dieselben kleinen schmierigen und rauchigen Stübchen, die Heiligthümer der Zechergemüthlichkeit, die in Bayern dem Bier, am Rhein und in den österreichischen Rebenländern dem Wein gewidmet sind, stehen hier unter dem Zeichen des Aepfelweins. Vor dem schäumenden, schmutzfarbenen Rauscher oder dem goldgelben Wein sitzen die Gäste stundenlang, von ihm lassen sie sich trösten über häusliches oder geschäftliches Leid, er begeistert sie zu all den Schnaken und Schnurren, die dann von Mund zu Mund gehen, bis sie in die Witzblätter gelangen, er ist es, der die Mienen erheitert und den Kampf ums Dasein, der draußen tobt, vergessen macht, und er ist es auch, der nicht selten zu einem „Kampf ums Dasein“ drinnen führt – ganz wie anderswo, nur daß die letzte Ursache der Erscheinung hier kein Rebengelände und kein Brauhaus, sondern ein Apfelbaum ist.

Doch das sind Dinge, die Viele wissen werden, was aber die meisten der Leser in Erstaunen setzen dürfte, ist die Thatsache, daß der Aepfelwein sich ganz im Stillen eine Gemeinde geschaffen hat, die weit über seine eigentliche Heimath, weit über Deutschlands Grenzen hinaus reicht, daß deutscher Aepfelwein in England, Schweden und Rußland getrunken wird, ja daß selbst der südamerikanische Pflanzer sich mitunter ein Fäßlein über das große Wasser kommen läßt.[1] Wenn man in Frankfurt über die große Mainbrücke geht und den Sachsenhäuser Berg hinansteigt, da läßt man sich’s nicht träumen, daß der Saft all dieser Aepfel, die da in ungezählten Wagenladungen vorübergeführt werden, so weit nach den vier Windrichtungen versendet wird. Und wenn man das nicht gerade herausfordernd in die Welt blickende Fabrikgebäude betrachtet, in dem all diese Aepfel verschwinden, dann denkt man auch nichts weiter, als: ein Aepfelweinproducent mehr! Wen aber der Zufall weiter führt, der erkennt bald, daß hier Fleiß und Ausdauer aus dem Kleinbetrieb heraus, auf den die Aepfelwein-Erzeugung sonst allgemein beschränkt geblieben ist, ein in seiner Art einziges industrielles Unternehmen geschaffen hat. Die Brüder Freyeisen, denen die Fabrik gehört, sind alte Sachsenhäuser. Vater und Großvater kelterten schon Obstwein, aber erst in den letzten Jahrzehnten bildete sich aus dem Geschäft ein Großbetrieb heraus, dessen Produkt in alle Welt versendet wird.

Steigt man in die Keller hinunter, so erhält man erst einen Begriff von der ganz gewaltigen Ausfuhr eines Erzeugnisses, von dessen Export bisher in größeren Kreisen kaum etwas verlautete. In zwei Stockwerken dehnen sich kolossale Keller aus, von denen der obere rund 400 Fuß, der untere circa 300 Fuß lang ist. In diesen Riesenräumen lagert neben und über einander Faß an Faß, alle gefüllt mit dem Produkt eines Jahres, denn viel länger hält sich der Aepfelwein nicht. Aus allen Theilen Deutschlands, namentlich aus der Wetterau, dem Taunus, aus Bayern und aus Hannover, werden die Früchte herbeigeschleppt, aus denen all dieser Wein gewonnen wird. Und sie reichen meist gar nicht aus, sodaß nicht selten Waggonladungen Aepfel aus Frankreich und Oesterreich bezogen werden. Im Durchschnitt werden in jedem Herbst 50000 Centner Aepfel verarbeitet, und da 10 Centner ungefähr 3 Hektoliter Wein geben, so erhält man daraus 15000 Hektoliter Aepfelwein, wovon der weitaus größte Theil nach auswärts versandt wird. Der Betrieb selbst ist sehr einfach. Die Aepfel werden in einer durch Dampfkraft getriebenen Mühle zu einem Brei zerrieben, und dieser kommt, nachdem er eine Weile „gezogen“ hat, in die Pressen, deren Einrichtung ja bekannt ist. Der ablaufende „Süße“ wird durch Röhren in die Keller geleitet, wo er alsbald in Gährung geräth. Schon nach 6 bis 8 Tagen ist er „Rauscher“, der an Ort und Stelle stark getrunken wird. Ist die Gährung weiter fortgeschritten, so wird er ungenießbar, und erst im Februar und März wird aus dem im Oktober und November gekelterten Most klarer Wein. Um diesem mehr Haltkraft zu geben, als er ursprünglich besitzt, setzen die Brüder Freyeisen den sogenannten „Speierling“ zu, einen Wein, den sie aus einer Speierling genannten, sehr herben Birnenart gewinnen.

Fragt man sich nun, was den Aepfelwein so sehr in Aufnahme gebracht hat, so wird man kaum irre gehen, wenn man dies zum großen Theil den Herren Chemikern zuschreibt, die sich um die Analyse des Traubenweins so sehr bemüht haben. Trinkt man eine Flasche Wein für 80 Pfennig, so kann man in den meisten Fällen sicher gehen, daß er Kunstprodukt ist, während man für 25 bis 30 Pfennig einen Liter Aepfelwein erhält, der fast immer echt sein wird, weil eine Fälschung sich nicht rentiren würde. Und besser als das künstlich gemischte „Rebenblut“ ist der Aepfelwein jedenfalls, ganz abgesehen davon, daß er auch gesünder ist. In sanitärer Beziehung hat er übrigens vor Wein und Bier manche Vorzüge, ja er wird in neuester Zeit auch vielfach von Aerzten verschrieben.

„Während der Genuß von Traubenweinen,“ sagt Otto Lämmerhirt, „das Blut erhitzt, der von Bier dasselbe verdorben und zu Fieberkrankheiten geneigt macht, das Gemüth mürrisch und melancholisch stimmt, wirkt im Gegensatz hierzu der Genuß von Obstwein vermöge seines Gehaltes an phosphorsauren Salzen anregend auf die Gehirnthätigkeit, und die Aepfel- und Citronensäure der Früchte belebend auf den ganzen menschlichen Organismus, indem sie durch vermehrte Thätigkeit der Organe die Schlacken aus dem Blute entfernen und so dasselbe reinigen.“

Wer übrigens in Württemberg gelebt hat, der wird wohl auch erfahren haben, wie wohlthätig der Genuß des Aepfelweins auf den Gesundheitszustand der Truppen bei den Manövern einwirkt – eine Gelegenheit, welche für solche Beobachtungen besonders günstig ist. Schwaben zeigt auch, wie sehr durch allgemeine Verbreitung des Aepfelweins der Branntweingenuß und damit all die üble Gefolgschaft des Alkoholismus eingeschränkt werden kann. So darf man sich denn auch nicht wundern, daß der Aepfelwein längst begeisterte Verehrer gefunden hat, die ihn wie Dr. Lucas besangen:

„Der edle Wein belebt mit seinem Feuer
Wohl jede Menschenbrust;
Der Obstwein ist dem Landmann werth und theuer,
Zur Arbeit schafft er Lust!“

, und Enthusiasten, die ihn als Universalmittel gegen alle möglichen Krankheiten hinstellten, wie Petsch, der ihn „die Muttermilch der Natur“ nannte. Was den Schreiber dieser Zeilen betrifft, so muß er freilich gestehen, daß weder Württemberg noch Frankfurt, trotzdem er da wie dort Jahre verlebte, es vermochten, ihn zum Aepfelwein-Apostel zu machen. Das ihm neue „Nationalgetränk“ erregte wohl seine Neugierde und veranlaßte ihn zu Beobachtungen, die nun in diesen Zeilen krystallisiren – aber er läßt es beim Schreiben und überläßt das Trinken Andern. Aepfel-, Citronen- und Phosphor-Säure mögen – wir können es Herrn Lämmerhirt glauben – sehr ersprießliche Dinge sein, aber Manchen, sind sie eben – zu sauer.


Emil Peschkau (* 19. Februar 1856 in Wien; † 1929?) war ein österreichischer Journalist und Schriftsteller. In Frankfurt arbeitete er zeitweise als Redakteur des Feuilletons des Frankfurter Journals, sowie dessen Unterhaltungsbeilage ‚Didaskalia‘.

Foto: Von Unbekannt, weder aus dem Buch noch anderweitig zu ermitteln – Gustav Dahms: Das litterarische Berlin. Berlin: Taendler, 1895, Seite 68, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=6195061


„Die Gartenlaube“

war ein illustrirtes Familienblatt (später Illustriertes Familienblatt, ab 1938 mit dem veränderten Titel ‚Die neue Gartenlaube‘, war ein Vorläufer moderner Illustrierter und das erste große erfolgreiche deutsche Massenblatt. Es erschien ab 1853 und erreichte 1876 unter dem Verleger Ernst Keil eine Auflagenhöhe von 382.000 Exemplaren. In der Summe sind 121.000 Seiten erschienen. Einer der Mitbegründer war Ferdinand Stolle. Da die Gartenlaube sowohl in der gemeinsamen Familienlektüre konsumiert wurde als auch in zahlreichen Leihbibliotheken und Cafés als Auslage zur Verfügung stand, beläuft sich die Schätzung der eigentlichen Leserschaft auf zwei bis fünf Millionen zu ihren Hochzeiten.

Die Gartenlaube stellt eine ebenso umfassende wie für viele historische Untersuchungsfelder unverzichtbare Quelle zur deutschen Kulturgeschichte dar, zum Beispiel bezüglich der in der Illustrierten veröffentlichten Fortsetzungsromane.

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