Das Gerippte
Heute wird Apfelwein im Frankfurter Raum traditionell aus konisch zulaufenden Gläsern, auf denen sich kreuzweise angeordnete, schräggestellte Längsrippen befinden, getrunken. Die gekreuzten Rippen ergeben das charakteristische Rautenmuster und gaben dem Glas seinen Namen: Das Gerippte.
Wer jedoch fragt, warum sich gerade dieses Glas durchgesetzt hat, muss sich mit Vermutungen begnügen. Im Wesentlichen haben sich zwei Theorien durchgesetzt:
- Der handwerklich hergestellte Apfelwein war früher meist trüb, da die Filtration noch nicht so ausgereift und gebräuchlich war wie heute. Das Rautenmuster der Gläser bewirkte ein Spiel aus Licht und Schatten, was den Inhalt optisch aufhellte und ihn appetitlicher erscheinen ließ. Selbst der heute meist kristallklare Schoppen funkelt im Gerippten besonders verführerisch.
- Früher aßen die einfachen Leute meist nur mit einem Messer und den Fingern. Mit fettigen Fingern ließen sich glatte Gläser aber nur schwer greifen. Das Gerippte bot da natürlich deutlich besseren Halt.
Wann genau sich das Rautenmuster durchsetzte, lässt sich wohl nicht genau eingrenzen. Eine Quelle bezieht sich auf ein Gemälde eines nicht näher bezeichneten Kölner Meisters aus dem Jahre 1464, auf dem einer der Abgebildeten ein Glas mit einem deutlich erkennbaren Rautenmuster in der Hand hält. In meiner Sammlung befindet sich allerdings auch ein Kunstdruck nach dem Holzstich ‚Beim Apfelwein‘ von Edmund Harburger aus dem Jahre 1904. Hier stehen eindeutig glattwandige Gläser auf dem Tisch. Auch Gläser mit erhabenen oder leicht eingezogenen Noppen waren durchaus gebräuchlich. In der Pfalz sind solche Glässer heute noch als ‚Dubbegläser‘ für Most gebräuchlich.
Auch bezüglich der Glasgrößen war in früheren Zeiten, als es mit Maßen und Gewichten noch drunter und drüber ging, so ziemlich alles vertreten. So maß der ‚Frankfurter Schoppen‘ ungefähr 0,39 Liter, der ‚Hessische Schoppen‘ hingegen 0,43 Liter. Den Wirten war es freigestellt, in welchen Gläsern Sie ausschenkten. Durchgesetzt haben sich letztendlich Gläser mit 5/20 (0,25 l) und 6/20 (0,3 l). Es gab aber auch früher schon Gläser mit 0,5 l, die auch heute noch gebräuchlich sind und gerne in der Außengastronomie eingesetzt werden.
Was uns direkt zum nächsten Streitthema bringt. Obwohl die beiden Glasgrößen 0,3 l und 0,25 l schon lange gebräuchlich sind, beharren die alt eingeschworenen Schoppepetzer in Frankfurt auf dem 0,3 l-Glas als einzig legitimes Trinkgefäß. Die 0,25er werden verächtlich als ‚Beschissergläser‘ abgetan. Dies mag zutreffen, denn offene Preiserhöhungen sind bis heute unbeliebt. Durch die klammheimliche Umstellung auf kleinere Gläser konnte der Preis stabil gehalten werden. Klarer Fall von Täuschung. Oder halt ‚Beschiss‘, wie man in Frankfurt zu sagen pflegt.
Wer sich das Geld für neue Gläser sparen wollte, der hat die vorhandenen einfach neu geeicht*. Ein sehr eindrucksvolles dafür Beispiel ist ein Glas aus der Zeit um 1820 – 1840. Am oberen Rand befindet sich ein Füllstrich* für 0,5 l, gegenüber einer für 0,4 l. Bei einem anderen Exemplar wurde der ursprüngliche Füllstrich für 0,4 l sogar durchgestrichen und gegenüber ein neuer für 0,35 l angebracht.
Allerdings habe ich in meiner Sammlung auch echte Gerippte mit 4/20 (0,2 l) und sogar 3/20 (0,15 l). Diese Gläser bezeichnete man in der Zeit des Biedermeier (1815 – 1848) wohl als „Salönchen“ (auch „Madame- oder Damenglas“). Die etwas ‚besseren‘ Damen dieser Zeit pflegten aus ihnen mit vornehm zur Schau gestellter Zurückhaltung ihren Apfelwein in winzigen Schlucken zu nippen. Dies taten sie meist in den noblen Salons der Wirtschaften mit ‚gehobenem‘ Anspruch, was dem Glas seinen Namen gab.
Mehr Hintergrundwissen zu den Gläsern, ihrer Herstellung und Geschichte dann demnächst.
* Wie mir die Hessische Eichbehörde auf Anfrage mitgeteilt hat, werden Schankgläser nicht ‚geeicht‘ im klassischen Sinn. Der gebräuchliche Begriff ‚Eichstrich‘ für die aufgebrachte Markierung ist demnach irreführend. Korrekt muss es ‚Füllstrich‘ heißen. Ähhh…ja