Bembel, Glas und Deckelche

Bembel, ‚Geripptes‘ Glas und Schobbedeckelche,


diese drei Dinge bilden das ‚magische Dreieck‘ der Apfelweinkultur und sind den alten Frankfurtern heilig!

Wo sich Menschen in geselliger Runde beim Apfelwein treffen, gehören diese drei Utensilien unbedingt auf den Tisch.

  • Der Bembel, ein bauchiger Krug aus salzglasiertem Steinzeug, der den Schoppen schön kühl und frisch hält und dem Kellner viel Rennerei erspart.
  • Das ‚Gerippte‘ Glas, das einzig legitime Trinkgefäß für Apfelwein, mit seinem typischen Rautenmuster, dass dem Glas einerseits eine gute Griffigkeit verleiht und andererseits den Schoppen wunderbar funkeln lässt.
  • Das Schobbedeckelche, das jeder traditionsbewusste Apfelweinliebhaber stets mit sich führt und das den Inhalt des Glases vor Insekten, Dreck oder, im schlimmsten Fall, der feuchten Aussprache der Mitzecher schützt.

Wann und wie genau sich diese für Frankfurt und den Apfelwein so einzigartige Trinkkultur entwickelt hat kann heute wohl niemand mehr so genau sagen.

Wenn der Bembel reihum geht und die Gläser gefüllt werden, kommt man zwangsläufig ins Gespräch. Beim goldenen Funkeln des Getränks, das durch die Rauten des Glases noch verstärkt wird, gerät so mancher ins Träumen. Sein Schobbedeckelche bringt jeder selbst mit und zeigt damit nicht nur seine Zugehörigkeit zu den ‚Apfelweingeschworenen‘, sondern bringt damit auch seine Individualität zum Ausdruck. Zum Trinken wird der Deckel bedächtig abgenommen und anschließend würdevoll wieder aufgesetzt. 

Alles in allem entsteht so zwangsläufig die apfelweintypische Gemütlichkeit, die in anderen Wirtschaften nur schwer zu finden ist.  

Nachfolgend stelle ich Dir die Protagonisten im Detail vor.


Der Bembel


Ein bauchiger Krug aus salzglasiertem Steinzeug und mit der typisch kobaldblauen Bemalung. Der Bembel gehört zum Apfelwein, wie der Handkäs! 

Soweit bekannt wird der ‚Bembel‘ erstmals 1893 in den ‚Humorischtischen Memoiren eines alten Frankfurters‘ von Jacob Fries schriftlich erwähnt. Ähnliche Gefäße sind aber sicherlich schon deutlich früher im Gebrauch gewesen. 

Wie der Begriff ‚Bembel‘ entstand, ist bis heute nicht zweifelsfrei belegt. Während einige ‚Bembelforscher‘ den Begriff anhand der mutmaßlich an eine kleine Bombe erinnernden Form über ‚Bömbchen‘ – ‚Bömbelchen‘ – ‚Bembelchen‘ zu ‚Bembel‘ ableiten, vertreten andere die Meinung, dass die Bauern ihren Apfelwein in einem Krug unter den Wagen hingen, damit der Schoppen im Schatten schön kühl blieb. Bei der Fahrt pendelte der Krug hin und her. Der Frankfurter sagt dazu „Er bambelt.“ ‚Bambeln‘ – ‚Bembeln‘ – ‚Bembel‘? Und aus dem akademischen Lager stammt die Theorie, dass sich ‚Bembel‘ vom lateinischen ‚Pampinus‘, was Weinlaub oder Weinranke bedeutet, herleitet. Oder besser gesagt von ‚Pampel‘, wie die Trinkgefäße der studentischen Burschenschaften genannt wurden. Aber auch das ist nicht belegt.

Wie man in Frankfurt so treffend sagt „Nix Genaues waas mer net, des awwer genau!“

Mehr Bembelwissen gibt es dann nach und nach in einer eigenen Rubrik.

Alle rund 250 Bembel meiner Sammlung zu fotografieren, zu vermessen, zu beschreiben und zu katalogisieren, wird noch einiges an Zeit erfordern. Auch die Beschreibungen der bereits katalogisierten Exponate müssen aufgrund neuer Erkenntnisse demnächst überarbeitet werden. Aber auch die Bilder allein sind ja schon schön.

Ich glaab ich bin aus Staa
un hab mehr Bauch als Baa
un doch bin ich en armer Tropp
denn ach, ich hab e Loch im Kopp.

Adolf Stolze


Das Gerippte


Heute wird Apfelwein im Frankfurter Raum traditionell aus konisch zulaufenden Gläsern, auf denen sich kreuzweise angeordnete, schräggestellte Längsrippen befinden, getrunken. Die gekreuzten Rippen ergeben das charakteristische Rautenmuster und gaben dem Glas seinen Namen: Das Gerippte.

Wer jedoch fragt, warum sich gerade dieses Glas durchgesetzt hat, muss sich mit Vermutungen begnügen. Im Wesentlichen haben sich zwei Theorien durchgesetzt:

  • Der handwerklich hergestellte Apfelwein war früher meist trüb, da die Filtration noch nicht so ausgereift und gebräuchlich war wie heute. Das Rautenmuster der Gläser bewirkte ein Spiel aus Licht und Schatten, was den Inhalt optisch aufhellte und ihn appetitlicher erscheinen ließ. Selbst der heute meist kristallklare Schoppen funkelt im Gerippten besonders verführerisch.
  • Früher aßen die einfachen Leute meist nur mit einem Messer und den Fingern. Mit fettigen Fingern ließen sich glatte Gläser aber nur schwer greifen. Das Gerippte bot da natürlich deutlich besseren Halt.

Wann genau sich das Rautenmuster durchsetzte, lässt sich wohl nicht genau eingrenzen. Eine Quelle bezieht sich auf ein Gemälde eines nicht näher bezeichneten Kölner Meisters aus dem Jahre 1464, auf dem einer der Abgebildeten ein Glas mit einem deutlich erkennbaren Rautenmuster in der Hand hält. In meiner Sammlung befindet sich allerdings auch ein Kunstdruck nach dem Holzstich ‚Beim Apfelwein‘ von Edmund Harburger aus dem Jahre 1904. Hier stehen eindeutig glattwandige Gläser auf dem Tisch. Auch Gläser mit erhabenen oder leicht eingezogenen Noppen waren durchaus gebräuchlich. In der Pfalz sind solche Glässer heute noch als ‚Dubbegläser‘ für Most gebräuchlich.

Auch bezüglich der Glasgrößen war in früheren Zeiten, als es mit Maßen und Gewichten noch drunter und drüber ging, so ziemlich alles vertreten. So maß der ‚Frankfurter Schoppen‘ ungefähr 0,39 Liter, der ‚Hessische Schoppen‘ hingegen 0,43 Liter. Den Wirten war es freigestellt, in welchen Gläsern Sie ausschenkten. Durchgesetzt haben sich letztendlich Gläser mit 5/20 (0,25 l) und 6/20 (0,3 l). Es gab aber auch früher schon Gläser mit 0,5 l, die auch heute noch gebräuchlich sind und gerne in der Außengastronomie eingesetzt werden.

Was uns direkt zum nächsten Streitthema bringt. Obwohl die beiden Glasgrößen 0,3 l und 0,25 l schon lange gebräuchlich sind, beharren die alt eingeschworenen Schoppepetzer in Frankfurt auf dem 0,3 l-Glas als einzig legitimes Trinkgefäß. Die 0,25er werden verächtlich als ‚Beschissergläser‘ abgetan. Dies mag zutreffen, denn offene Preiserhöhungen sind bis heute unbeliebt. Durch die klammheimliche Umstellung auf kleinere Gläser konnte der Preis stabil gehalten werden. Klarer Fall von Täuschung. Oder halt ‚Beschiss‘, wie man in Frankfurt zu sagen pflegt.  

Wer sich das Geld für neue Gläser sparen wollte, der hat die vorhandenen einfach neu geeicht*. Ein sehr eindrucksvolles dafür Beispiel ist ein Glas aus der Zeit um 1820 – 1840. Am oberen Rand befindet sich ein Füllstrich* für 0,5 l, gegenüber einer für 0,4 l. Bei einem anderen Exemplar wurde der ursprüngliche Füllstrich für 0,4 l sogar durchgestrichen und gegenüber ein neuer für 0,35 l angebracht.

Allerdings habe ich in meiner Sammlung auch echte Gerippte mit 4/20 (0,2 l) und sogar 3/20 (0,15 l). Diese Gläser bezeichnete man in der Zeit des Biedermeier (1815 – 1848) wohl als „Salöngchen“ (auch „Madame- oder Damenglas“). Die etwas ‚besseren‘ Damen dieser Zeit pflegten aus ihnen mit vornehm zur Schau gestellter Zurückhaltung ihren Apfelwein in winzigen Schlucken zu nippen. Dies taten sie meist in den noblen Salons der Wirtschaften mit ‚gehobenem‘ Anspruch, was dem Glas seinen Namen gab.   

Mehr Hintergrundwissen zu den Gläsern, ihrer Herstellung und Geschichte dann demnächst.

* Wie mir die Hessische Eichbehörde auf Anfrage mitgeteilt hat, werden Schankgläser nicht ‚geeicht‘ im klassischen Sinn. Der gebräuchliche Begriff ‚Eichstrich‘ für die aufgebrachte Markierung ist demnach irreführend. Korrekt muss es ‚Füllstrich‘ heißen. Ähhh…ja  


Das Schobbedeckelche


Zuerste eine kleine Anmerkung: Diese Seite bedient sich des Hochdeutschen, damit auch Nicht-Frankfurter alles verstehen. Ein Glas Apfelwein heist auf Hochdeutsch „Schoppen“ und wird daher mit „pp“ geschrieben. „Schobbedeckel“ ist hingegen ein typisch Frankfurter Begriff. Daher verwende ich für die Deckelchen die Schreibweise mit „bb“.

Während Bembel und Gerippte nach wie vor Standard sind, sterben die Schobbedeckelcher langsam aus. Das mag daran liegen, dass sie nicht von den Wirtschaften bereitgestellt werden, sondern jeder Gast sein eigenes Schobbedeckelche selbst mitbringen muss. Auch die Handwerker, die diese kleinen Kunstwerke herstellen, werden weniger. 

Insbesondere den ‚älteren Semestern‘ und den wahrhaftigen ‚Apfelweingeschworenen‘ ist ihr Deckelche heilig. Viele der am Stammtisch umständlich aus der Tasche gekramten und mit einer gewissen Würde auf dem Glas drapierten Exemplare sind Unikate. So einzigartig, wie ihre Besitzer. Liebevoll von Hand gefertigt und nach Gusto ausgeschmückt sind sie ein Statement für die Liebe zum Apfelwein und zur Tradition. Sie repräsentierten früher aber durchaus auch den sozialen Status des Eigentümers. Einfache Bauern und Arbeiter hatten eher schlichte Deckel, während die Herren ‚besseren Standes‘ oft aufwändig geschmückte Kunstobjekte ihr eigen nannten.

Wer in einem der urigen Apfelweinlokale Frankfurts nach dem Sinn und Zweck der Deckelcher fragt, outet sich unweigerlich als Unkundiger oder Tourist und läuft Gefahr, sich allerlei ausschweifende (und oft nicht ganz ernsthaft gemeinte) Erklärungen anhören zu müssen. „Der Deckel bewahrt das feine Aroma des Schoppens, verhindert das Eindringen störender Duftstoffe und sorgt so für den reinen, unverfälschten Geschmack. Außerdem wird die Verdunstung des Getränks verhindert.“ Wer´s glaubt…

Die einfachste Erklärung ist die Kennzeichnung des Glases. Alte Gemälde zeigen, dass es früher in den Wirtschaften schon mal turbulent hergehen konnte und die Zecher nicht wie heute an einem festen Platz saßen. Oft wurde der Schoppen einfach irgendwo abgestellt. Durch die Deckel konnte jeder Gast selbst im größten Durcheinander seinen Schoppen sicher identifizieren.  

Eine andere Geschichte ist da schon etwas ekliger. Mit jedem Schoppen wurde die Aussprache der Zecher undeutlicher – und feuchter. Zahnlücken waren weit verbreitet und verschlimmerten die Situation zusätzlich. Die Deckel schützten demnach den Inhalt des Glases vor unerwünschten Beimischungen. Auch wenn man damals lange nicht so empfindlich war wie heute.

Die für mich plausibelste Erklärung ist die Tatsache, dass man bei schönem Wetter noch heute seinen Schoppen gerne unter freiem Himmel, in einem gepflegten Garten und unter schattigen Bäumen genießt. Das feine Aroma des Apfelweins zieht aber nicht nur die Apfelweingenießer, sondern leider auch allerlei fliegendes und krabbelndes Getier an. Und Bäume pflegen bisweilen, Blätter, kleine Ästchen und anderes abzuwerfen. Der Deckel schützt den Schoppen also vor allem was nicht reingehört.  

Nun mag der Skeptiker einwenden, dass die Deckel aber auch gerne in der Gaststube Verwendung finden. Stimmt schon, aber für die echten Apfelweingeschworenen gehört der Deckel halt einfach dazu. Mit gemessener Handbewegung wird er vom Glas genommen und nach dem Trinken ebneso bedächtig wieder aufgesetzt. Diese Entschleunigung ist fester Bestandteil des Zeremoniells. Ebenso, wie das Nachschenken leerer Gläser aus dem Bembel.

Das Design ist preisverdächtig und bis heute grundsätzlich unverändert zweckmäßig. Im Querschnitt erinnert die Form an einen flachen Pilz, dessen Stiel einige Millimeter ins Glas hineinragt und dessen Durchmesser dem Innendurchmesser des Glases angepasst ist, damit der Deckel nicht herunterrutscht. Ganz alte Deckel waren für die damals üblichen 0,4 oder 0,3 Liter fassenden Gläser konstruiert und passen daher nicht auf die heute oft anzutreffenden ‚Beschissergläser‘ mit nur noch 0,25 Litern.     

Der Hut des Pilzes ragt einige Milimeter über den Durchmesser des Glases heraus. So ist der Deckel gut zu greifen. Der Hut ist entweder flach oder mehr oder weniger stark gewölbt. Er trägt auch den individuellen  Schmuck. Das Spektrum der Ausschmückungen reicht von Schnitzereien und Bemalungen, über  kunstvoll gestalteten Plaketten aus Metall, bis hin zu wertvollen oder historischen Gold- oder Silbermünen, die meist in den Hut eingelassen werden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Oft finden sich auch ein bis drei gedrechselte Rillen als Zierde.  

Als Material kommen fast alle Holzarten in Betracht. Apfel- oder Lidenholz ist relativ günstig, weich und leicht zu verarbeiten, während Eiche, Nussbaum, Kastanie, Robinie und andere, eher harte Hölzer, als wertvoller gelten. Moorhölzer (Eiche, Buche, etc., die Jahrzehnte bis Jahrhunderte im Moor gelegen haben) sind besonders edel. Tropische Hölzer (Mahagoni, Teak, Palisander, usw.) kommen kaum vor, da sie einen intensiven Eigengeruch haben, während beispielweise Olivenholz durchaus im Trend liegt.

Ganz früher waren die Schobbedeckel der einfachen Leute wohl oft aus schlichtem Blech. Helmut Lenz erwähnt in einer Publikation von 1984 aus Blech gestanzte und bedruckte Deckel, die nachweisbar aus der Zeit vor 1914 stammten. Besonders wertvolle Unikate wurden hingegen beispielsweise aus Hirschhorn gefertigt. Außerdem gibt es Deckel mit einem ‚Schobbezähler‘. Für jeden Schoppen wird der Zeiger eine Position weitergedreht. So weis man immer wann es Zeit wird den Heimweg anzutreten.

Für ihre Besitzer haben die kleinen Unikate oft mehr ideellen, als künstlerischen oder materiellen Wert. Oft sind damit Erinnerungen an bestimmte Lebensereignisse oder geliebte Menschen verbunden. Und nicht selten sind es Erbstücke, die schon lange im Familienbesitz sind.

Wer aber meint, in einer traditionellen Apfelweinwirtschaft einen bonbonfarbigen Kunststoffdeckel aus dem 3D-Drucker auspacken zu müssen, darf sich über abschätzige Blicke und bissige Kommentare nicht wundern.  

 


Nachtrag

Selbstverständlich gab es auch große Deckel für Bembel, die dem selben Zweck dienten.

Sehr alter Bembeldeckel mit Griff
Hut 12 cm, Fuß 9 cm
Alter, schlichter Bembeldeckel
Hut 10 cm, Fuß 8 cm

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