Das Schoppedeckelche

Das Schoppedeckelche


Während Bembel und Geripptes nach wie vor Standard sind, sterben die Schoppededeckelcher langsam aus. Das mag daran liegen, dass sie nicht von den Wirtschaften bereitgestellt werden, sondern jeder Gast sein eigenes Schoppedeckelche selbst mitbringen muss.  

Insbesondere den ‚älteren Semestern‘ und den wahrhaftigen ‚Apfelweingeschworenen‘ ist ihr Deckelche heilig. Viele der am Stammtisch umständlich aus der Tasche gekramten und mit einer gewissen Würde auf dem Glas drapierten Exemplare sind Unikate. So einzigartig, wie ihre Besitzer. Liebevoll von Hand gefertigt und nach Gusto ausgeschmückt sind sie ein Statement für die Liebe zum Apfelwein und zur Tradition. Sie repräsentierten früher aber durchaus auch den sozialen Status des Eigentümers. Einfache Bauern und Arbeiter hatten eher schlichte Deckel, während die Herren ‚besseren Standes‘ oft aufwändig geschmückte Kunstobjekte ihr eigen nannten.

Wer in einem der urigen Apfelweinlokale Frankfurts nach dem Sinn und Zweck der Deckelcher fragt, outet sich unweigerlich als Unkundiger oder Tourist und läuft Gefahr, sich allerlei ausschweifende (und oft nicht ganz ernsthaft gemeinte) Erklärungen anhören zu müssen. „Der Deckel bewahrt das feine Aroma des Schoppens, verhindert das Eindringen störender Duftstoffe und sorgt so für den reinen, unverfälschten Geschmack. Außerdem wird die Verdunstung des Getränks verhindert.“ Wer´s glaubt…

Die einfachste Erklärung ist die Kennzeichnung des Glases. Alte Gemälde zeigen, dass es früher in den Wirtschaften schon mal turbulent hergehen konnte und die Zecher nicht wie heute an einem festen Platz saßen. Oft wurde der Schoppen einfach irgendwo abgestellt. Durch die Deckel konnte jeder Gast selbst im größten Durcheinander seinen Schoppen sicher identifizieren.  

Eine andere Geschichte ist da schon etwas ekliger. Mit jedem Schoppen wurde die Aussprache der Zecher undeutlicher – und feuchter. Zahnlücken waren weit verbreitet und verschlimmerten die Situation zusätzlich. Die Deckel schützten demnach den Inhalt des Glases vor unerwünschten Beimischungen. Auch wenn man damals lange nicht so empfindlich war wie heute.

Die für mich plausibelste Erklärung ist die Tatsache, dass man bei schönem Wetter noch heute seinen Schoppen gerne unter freiem Himmel, in einem gepflegten Garten und unter schattigen Bäumen genießt. Das feine Aroma des Apfelweins zieht aber nicht nur die Apfelweingenießer, sondern leider auch allerlei fliegendes und krabbelndes Getier an. Und Bäume pflegen bisweilen, Blätter, kleine Ästchen und anderes abzuwerfen. Der Deckel schützt den Schoppen also vor allem was nicht reingehört.  

Nun mag der Skeptiker einwenden, dass die Deckel aber auch gerne in der Gaststube Verwendung finden. Stimmt schon, aber für die echten Apfelweingeschworenen gehört der Deckel halt einfach dazu. Mit gemessener Handbewegung wird er vom Glas genommen und nach dem Trinken ebneso bedächtig wieder aufgesetzt. Diese Entschleunigung ist fester Bestandteil des Zeremoniells. Ebenso, wie das Nachschenken leerer Gläser aus dem Bembel.

Das Design ist preisverdächtig und bis heute grundsätzlich unverändert zweckmäßig. Im Querschnitt erinnert die Form an einen flachen Pilz, dessen Stiel einige Millimeter ins Glas hineinragt und dessen Durchmesser dem Innendurchmesser des Glases angepasst ist, damit der Deckel nicht herunterrutscht. Ganz alte Deckel waren für die damals üblichen 0,4 oder 0,3 Liter fassenden Gläser konstruiert und passen daher nicht auf die heute oft anzutreffenden ‚Beschissergläser‘ mit nur noch 0,25 Litern.     

Der Hut des Pilzes ragt einige Milimeter über den Durchmesser des Glases heraus. So ist der Deckel gut zu greifen. Der Hut ist entweder flach oder mehr oder weniger stark gewölbt. Er trägt auch den individuellen  Schmuck. Das Spektrum der Ausschmückungen reicht von Schnitzereien und Bemalungen, über  kunstvoll gestalteten Plaketten aus Metall, bis hin zu wertvollen oder historischen Gold- oder Silbermünen, die meist in den Hut eingelassen werden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Oft finden sich auch ein bis drei gedrechselte Rillen als Zierde.  

Als Material kommen fast alle Holzarten in Betracht. Apfel- oder Lidenholz ist relativ günstig, weich und leicht zu verarbeiten, während Eiche, Nussbaum, Kastanie, Robinie und andere, eher harte Hölzer, als wertvoller gelten. Moorhölzer (Eiche, Buche, etc., die Jahrzehnte bis Jahrhunderte im Moor gelegen haben) sind besonders edel. Tropische Hölzer (Mahagoni, Teak, Palisander, usw.) kommen kaum vor, da sie einen intensiven Eigengeruch haben, während beispielweise Olivenholz durchaus im Trend liegt.

Ganz früher waren die Schoppedeckel der einfachen Leute wohl oft aus schlichtem Blech. Helmut Lenz erwähnt in einer Publikation von 1984 aus Blech gestanzte und bedruckte Deckel, die nachweisbar aus der Zeit vor 1914 stammten. Besonders wertvolle Unikate wurden hingegen beispielsweise aus Hirschhorn gefertigt. Außerdem gibt es Deckel mit einem ‚Schoppenzähler‘. Für jeden Schoppen wird der Zeiger eine Position weitergedreht. So weis man immer wann es Zeit wird den Heimweg anzutreten.

Für ihre Besitzer haben die kleinen Unikate oft mehr ideellen, als künstlerischen oder materiellen Wert. Oft sind damit Erinnerungen an bestimmte Lebensereignisse oder geliebte Menschen verbunden. Und nicht selten sind es Erbstücke, die schon lange im Familienbesitz sind.

Wer aber meint, in einer traditionellen Apfelweinwirtschaft einen bonbonfarbigen Kunststoffdeckel aus dem 3D-Drucker auspacken zu müssen, darf sich über abschätzige Blicke und bissige Kommentare nicht wundern.  

 


Nachtrag:

Selbstverständlich gab es auch große Deckel für die Bembel, die dem selben Zweck dienten.

Sehr alter Bembeldeckel mit Griff
Hut 12 cm, Fuß 9 cm
Alter, schlichter Bembeldeckel
Hut 10 cm, Fuß 8 cm

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