1803 – 1945: Schwere Zeiten fürs Stöffche

1803 – 1945: Schwere Zeiten fürs Stöffche


Dieser Artikel fasst gut 140 Jahre zusammen, in denen die Apfelweingenießer so einiges durchzustehen hatten: neue Glasgrößen, neues Geld, Preiskämpfe, geheime Logen, Inflation und ein totales Kelterverbot. Doch die Frankfurter Apfelweingeschworenen blieben standhaft.

Doch der Reihe nach…  

Früher war die ‚Maß‘ eine gängige Messgröße für Getränke, jedoch regional unterschiedlich. In Frankfurt enthielt eine Maß 1,8 Liter und unterteilte sich in 4 ‚Schoppen‘ zu je 0,45 Liter. Als die Stadt Frankfurt im Jahr 1803 eine Getränkesteuer in Höhe von 12,5 Prozent einführte, reduzierte man einfach die Maß um ungefähr diesen Faktor. Die neue Maß in Frankfurt enthielt fortan nur noch 1,6 Liter, ein Schoppen demnach 0,4 Liter. So hatte man die Getränkesteuer elegant an die Gäste weitergegeben.    

Ab 1872 wurde im neu gegründeten Deutschen Reich das metrische System verbindlich eingeführt. Fortan galt für Flüssigkeiten der ‚Liter‘. Den Wirten wurde eine Übergangszeit von einem Jahr eingeräumt, um vom Schoppen auf das neue Litermaß umzustellen. Außerdem sollten Getränke nur noch in viertel, halben oder ganzen Litern ausgeschenkt werden, was sich aber nicht wirklich durchsetzen konnte.

Richtig kompliziert wurde es, da gleichzeitig auch die Währung umgestellt wurde. Seit 749 galt in Frankfurt der, von Kaiser Karl dem Großen eingeführte, ‚Gulden‘. Dieser unterteilte sich in 60 ‚Kreuzer‘, ein Kreuzer wiederum in 4 ‚Heller‘. 240 Heller entsprachen also einem Gulden. Nun galt plötzlich nur noch die ‚Mark‘, die sich in 100 ‚Pfennig‘ unterteilte. Um die neuen Münzen prägen zu können – Papiergeld war damals noch nicht gebräuchlich – zog man immer mehr alte Münzen zum Einschmelzen ein, was zu einer Münzknappheit führte. Münzknappheit, Maßumstellung, eine Missernte und eine Wirtschaftskrise führten 1873 schließlich zu einem Aufstand in Frankfurt, dem sogenannten ‚Batzenbierkrawall‘. Dieser traf vor allem die Bierbrauer und die Bierwirte. 

Doch auch an den Apfelweinwirten ging dies alles nicht spurlos vorbei. In den Wirren der Umstellung des Maß- und Geldsystems versuchten einige Wirte, die Gunst der Stunde zu nutzen und „rein vorsorglich“ kleinere Gläser einzuführen. Dies kam bei den Frankfurter Apfelwein-Geschworenen aber gar nicht gut an.

Die Wirte waren generell sehr erfinderisch, wenn auch wenig erfolgreich, wenn es um Preiserhöhungen ging. 1874 hatte man versucht, zwischen dem ¼ und ½ Liter noch eine dritte Glasgröße 3/8 Liter (0,375 Liter) einzuführen. Dem schoben die Behörden jedoch rasch einen Riegel vor. 1880 bissen die Apfelweinwirte in Sachsenhausen bei ihren Kunden auf Granit, als sie den Schoppenpreis erhöhen wollten. Fünf Jahre später, 1885, gründete sie daher den ‚Apfelweinring‘ um gemeinsam den Schoppenpreis von 10 auf 12 Pfennig zu erhöhen. Daraufhin traten die Gäste in den Streik und die Wirte waren gezwungen, die Preiserhöhung reumütig zurückzunehmen. Der ‚Apfelweinring‘ löste sich in Folge wieder auf.     

Es sollte nicht der letzte Apfelwein-Streik in Frankfurt sein…

Dennoch gaben einige besonders bauernschlaue Wirte nicht auf und schenkten den Apfelwein nun nicht mehr in Bembeln, sondern als Flaschenware aus. Diese Weinflaschen waren natürlich kleiner. Die Apfelweingeschworenen reagierten darauf mit einem kleinen Reim, der sogar in der Zeitung abgedruckt wurde:

„Leuten die gerne roppen,
scheinen diese Schoppen
ein zu kleines Maß.
Weil es drum von Nöten
wird hiermit gebeten
um ein größeres Glas!“

Reimt sich zwar nur bedingt, zeigte aber Wirkung. In Frankfurt, speziell in Sachsenhausen, gehen die Uhren halt etwas anders.

Viele Jahre blieb der Preis fürs ‚Heilige Stöffche‘ weitgehend stabil. Allerdings nur auf den ersten Blick.

Inzwischen hatte sich nämlich, entgegen allem behördlichen Widerstand, auch das 0,3-Liter Glas durchgesetzt. Die Bezeichnung ‚Schoppen‘ blieb jedoch.

In der ‚Eulenburg‘ in Bornheim hing ein Bild von 1903, das einen Schoppenpreis von 12 Pfennig bewarb. 1914, bei Kriegsausbruch, kostete ein Schoppen (0,3 l) Apfelwein in Frankfurt immer noch im Schnitt 12 Pfennige.

Mit Kriegsbeginn wurde das Münzgeld nach und nach eingezogen und durch Papiergeld ersetzt. Einige kupferhaltige Münzen wurden durch solche aus Eisen ersetzt. Diese reichten aber bei weitem nicht aus, zumal sich auch die Preise vervierfachten. Zudem trauten viele dem Papiergeld nicht und versuchten, dieses in Münzen umzutauschen. Der Mangel an Münzgeld wurde schließlich so groß, dass beispielsweise die Frankfurter Straßenbahnbetriebe eigene Münzen als Wechselgeld herausgaben. Im Mai 1917 begann auch die Stadt Frankfurt, eigenes Notgeld auszugeben. Zunächst 10 Pfennig-Münzen aus Zink. Aus diesen war ein kleines Dreieck ausgestanzt, um sie besser von ähnlichen Münzen anderer Städte, die in Frankfurt nicht gültig waren, unterscheiden zu können. Schnell kamen aber auch eigene Notgeldscheine in Form von Gutscheinen dazu.   

Als 1918 in Frankfurt zehntausende an der spanischen Grippe erkrankten, beschlossen die Stadtverordneten, in großem Umfang Gutscheine im Wert von 5, 10 und 20 Mark-Scheine herauszugeben, um den Leuten ihr Krankengeld auszahlen zu können.  

Doch zurück zum Apfelwein. Richtig bitter wurde es, als 1916 das das Keltern von Apfelwein zum öffentlichen Ausschank verboten wurde. Die Äpfel sollten direkt gegessen oder zu Konserven verarbeitet werden, um der zunehmenden Lebensmittelknappheit entgegenzuwirken. Auch die Versorgung der Lazarette spielte eine Rolle. Wo es noch Apfelwein vom Vorjahr gab, stieg der Preis rapide an. Im Oktober 1916 kostete der Schoppen 25 Pfennig, im Dezember 1917 bereits 35 Pfennig und im Januar 1918 sogar 38 Pfennig.

Doch wieder einmal hatte man die Rechnung ohne die chronisch durstigen ‚Schoppepetzer‘ gemacht. Apfelwein für den Eigenbedarf zu keltern und im privaten Kreis zu genießen, war schließlich weiterhin erlaubt. Also gründete man kurzerhand mehr oder weniger geheime ‚Apfelweinlogen‘. Das damals noch viel in heimischen Schuppen und Kellern gekeltert wurde, erwies sich schnell als großer Vorteil, da dort kaum jemand Einblick hatte. Wenn ein Nachbar Fragen stellte, wurde er kurzerhand in die Loge aufgenommen und bekam seinen Anteil. Den so gewonnenen Apfelwein ließ man sich dann an festgelegten „Verzapf-Abenden“ schmecken, zu denen natürlich nur die Logenbrüder Zugang hatten.

Zu Hochzeiten gab es in Frankfurt wohl rund ein Dutzend Apfelweinlogen, die so klangvolle Namen wie ‚Unserloge‘, ‚Stark im Recht‘, ‚Jägerloge‘, ‚Masterloge‘, ‚Eulenhorst‘ oder ‚Schnockelloch‘ trugen. Einige bezahlten die Wirte dafür, dass diese den Apfelwein für sie kelterten oder sie übernahmen gleich das ganze Lokal. Die Loge ‚Stark im Recht‘ quartierte sich beispielweise im ‚Losbacher Thal‘ ein. So wurden einige Wirtschaften vor dem Ruin gerettet.

Der Apfelwein wurde streng nur an Logenmitglieder ausgeschenkt. Diese bezahlten dann beispielweise mit eigens ausgegebenen Schoppenmarken.

Einige Logen bestanden auch nach Kriegsende 1918 noch weiter, um den steigenden Apfelweinpreisen entgegenzuwirken. Die Loge ‚Sachsenhausen Schnockelloch‘, die diese schöne Schoppenmarke ausgab, existierte noch bis 1936 und residierte in der Paradiesgasse 21 in Sachsenhausen.

Als Kellner in einem Apfelweinlokal verdiente man 1919 ungefähr 8,00 Mark am Tag. Ein Schoppen kostete aber bereits 70 Pfennig, im Oktober 85 Pfennig und Mitte Januar 1920 bereits 1,00 Mark.

Und immer wieder gab es Streit um Glasgrößen und steigende Preise. Einen Höhepunkt erreichte der Ärger im Dezember 1920, als die Schoppepetzer in Höchst und Sossenheim zum Boykott aufriefen. Grund dafür war der Schoppenpreis von 1,50 Mark für 0,25 l, bzw. 1,80 Mark für 0,3 l. Der Protest hatte zunächst auch Erfolg und zu Heiligabend wurden die Preise wieder gesenkt. Doch der Frieden hielt nicht lange, denn schon bald drehten die Wirte wieder an der Preisschraube. Nun hatten die Sossenheimer endgültig die Nase voll und die Vereine blieben ganze 11 Wochen ihren Stammlokalen fern. Im Juni 1921 mussten die gebeutelten Wirte schließlich einsehen, dass sie diesen Kampf verloren hatten und senkten die Preise wieder auf 1,50 Mark für den 0,3er – Schoppen.

Vielleicht hat auch die Tatsache, dass die Brauereien im Sommer 1921 erstmalig wieder ordentliches Bier brauen durften, die Wirte mit zum Einlenken bewogen. Zuvor, als niemand das dünne Kriegsbier trinken mochte, hatten einige Wirte ihre Gäste gezwungen, erst zwei Gläser Bier zu trinken, bevor man einen Apfelwein bestellen durfte.

Doch die Inflation der Nachkriegsjahre war nicht aufzuhalten. Das Geld war weiterhin knapp und immer weniger wert. Im Februar 1922 kostete der Schoppen schon 2,50 Mark und im Mai bereits 5,00 Mark. Geld war so knapp, dass die Stadt Frankfurt im September 1922 begann, das bereits eingezogenen Notgeld aus der Zeit der spanischen Grippe vom Herbst 1918 wieder auszugeben. Nur bekam man jetzt für 5,00 Mark nicht mehr 10 Schoppen, sondern nicht mal einen. Die Stadt Frankfurt gab nun auch Notgeldscheine zu 50, 100 und 500 Mark aus.

Im ‚Struwwelpeter‘ in Sachsenhausen hängt heute noch ein Plakat, dass den Verfall des Geldwertes im Jahr 1923 aufzeigt. Kostete ein Schoppen im Januar noch 50 Mark, so waren es am 21. November bereits aberwitzige 200 Milliarden.

Aber die wohl härteste Zeit stand den Frankfurtern noch bevor. Den Nationalsozialisten war der Apfelwein ein Dorn im Auge. Die Herstellung von Apfelsaft wurde hingegen staatlich gefördert. Der Deutsche Apfel sollte schließlich die Einfuhr von Südfrüchten überflüssig machen.

Infolgedessen wurde das Vermögen der Keltereivereinigung beschlagnahmt und die Vereinigung zwangsweise aufgelöst. Die Keltereien sollten nicht mehr an der „krampfhaften Aufrechterhal¬tung einer überholten Lebensmitteltechnik“ festhalten. Stattdessen wurde ihnen empfohlen „im Zuge der Zeit“ und „im Sinne der nationalsozialistischen Entwicklung“ nur noch Apfelsaft herstellen.

Im zweiten Weltkrieg wurde die Herstellung von Apfelwein schließlich ganz verboten.

Nach Kriegsende fehlten zunächst geeignete Äpfel und die Apfelweinherstellung kam nur langsam wieder in Gang. Doch trotz aller wirtschaftlicher Probleme wurde der Apfelwein schnell wieder fester Bestandteil der Alltagskultur in Frankfurt. Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem ehemaligen Nebenerwerb der Heckenwirte immer mehr eine eigenständige Apfelweingastronomie und -kultur.


Dieser Artikel stellt den aktuellen Stand der Recherche dar und wird überarbeitet, sobald sich neue Erkenntnisse ergeben. Letztes Update: 17.01.23

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